Mensch, Smart City!

pexels-photo-58625.jpeg

Digitalisierung ist ein Schlüssel für die lebenswerte Stadt von morgen, darf aber kein Selbstzweck sein. Auch Smart Cities drehen sich um Menschen - und die müssen sich beteiligen.

Stellen Dir vor, Du fährst in die Stadt und näherst Dich dem Parkplatz, der auf Deiner SmartParking-App als frei angezeigt wird. Direkt vor Deiner Nase parkt jedoch jemand anderes dort ein. Du suchst auf Deinem Smartphone den nächsten “klugen Parkplatz”, gibst die Adresse in das Navi ein und versuchst Dein Glück ein zweites Mal. Vielleicht klappt es diesmal, vielleicht ist wieder jemand schneller und das Spiel beginnt von vorn. Was von kommerziellen Anbietern als ein Baustein für die Smart City von morgen an Städte vermarktet wird, ist aus Kundensicht häufig nur ein Produkt, das nicht funktioniert.

Die Idee hinter Smart Parking ist gut gemeint: 41 Stunden pro Jahr verbringt ein deutscher Autofahrer durchschnittlich damit, einen Parkplatz zu finden. In den Großstädten sind das rund zehn Minuten Suchzeit für jeden Parkvorgang. Wenn man bereits zuhause wüsste, wo noch ein Parkplatz bei Ankunft frei ist, wäre das eine feine Sache. Mehr als grobe Näherungswerte über die Gesamtparksituation im anvisierten Bereich sind derzeit allerdings kaum möglich. Frust ist dadurch unvermeidbar, weil Kundenbedürfnisse nicht im Mittelpunkt der Anwendung stehen.

Eine verbindliche Buchung würde jedoch einen versenkbaren Poller auf jedem einzelnen öffentlichen Parkplatz benötigen - unbezahlbar und für das Stadtbild unansehnlich. Deshalb versteckt sich hinter aktuellen Smart Parking Lösungen prinzipiell nur die altbekannte Parkuhr in Form eines im Boden eingelassenen oder an Laternenmasten befestigten Sensors. Einen kleinen Vorteil gibt es allerdings: Der Sensor kann den Status einer gewissen Anzahl von Parkplätzen überwachen und liefert eine minutengenaue und lückenlose Belegzeit an ein Datencenter. Per App ist dann das mobile und bequeme Bezahlen des Parkplatzes möglich. Auch wenn die Einkäufe unerwartet länger dauern, muss man dank der neuen Technologie nicht mehr mit Kleingeld zur Parkuhr sprinten.

Aus Sicht des Stadtkämmerers ist diese Funktion jedoch mindestens diskussionswürdig: denn Knöllchen sind bisweilen sehr lukrativ für die Stadtkasse. Und für den Stadtplaner gibt es noch ein weiteres Dilemma: Angenommen die Parkplätze wären von zuhause aus buchbar und könnten zuverlässig angefahren werden: Diese “Parkplatzgarantie” im großen Stil würde die Anstrengungen untergraben, den Auto-Individualverkehr in Innenstädten einzuschränken und dafür Fußgänger, Radfahrer und die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs zu fördern.

Smart wird in der digitalen Stadt von morgen oft mit technologiebasiert gleichgesetzt

Die Produktentwicklung für die intelligente Stadt ist meist top-down - also hierarchisch von oben nach unten; Smart wird meist mit technologiebasiert gleichgesetzt und dabei spielt Hardware eine große Rolle. Den öffentlichen Haushalten fehlt häufig das Geld, das für diese immer neuere und leistungsstärkere Infrastruktur nötig ist. Deshalb fördern besonders große Unternehmen die weltweite Entwicklung von Smart Cities, treten finanziell in Vorleistung und werfen vertriebsorientierte Produkte auf den Markt, um damit Geschäftsmodelle zu verifizieren und das nächste Infrastrukturlevel zu testen. Hinter Smart Parking, Smart Waste Management, Smart Lighting, intelligenten Transportsystemen und anderen digitalen Lösungen der Smart City verbirgt sich in erster Linie die Technologie Narrowband Internet of Things, die sich im Wirkbetrieb erproben lässt.

Mit dem Kunden im Fokus bergen die digitalen Lösungen großes Potenzial Diese Lösungen haben ein großes Potenzial, denn sie wirken sich nicht nur auf den Komfort des einzelnen Bürgers aus, sondern auch auf die gesamte Stadtgesellschaft:

  • Smart Waste Management bekommt oft nicht die Aufmerksamkeit, wie Lösungen für Mobilität, Wasser und Energiesteuerung der Zukunft, ist aber ebenso relevant: Müll ist weltweit eine der größten Herausforderungen der Städte. Und selbst vermeintlich kleine Lösungen haben bereits eine große Wirkung: Durch Sensorsteuerung in öffentlichen Mülleimern werden diese nur noch geleert, wenn sie auch wirklich voll sind. Neben der Effizienzsteigerung und Kosteneinsparung wirkt es sich auch positiv auf den gesamten Stadtverkehr aus, wenn unnötige Leerfahrten von Müllautos vermieden werden.
     
  • Beleuchtung spielt nicht erst seit der Erfindung der Straßenlaterne eine wichtige Rolle in Städten: Bei Smart Street Lighting geht es erstmal vor allem ums Stromsparen - durch LED und intelligente Steuerung sind Einsparungen bis 80 Prozent möglich. Darüber hinaus bieten Straßenlaternen auch die Möglichkeit, eine Plattform für zusätzliche Technologien aufzubauen. Weitere Sensoren - beispielsweise für Luftqualität und Lärmbelastung - lassen sich genauso installieren, wie WLAN-Hotspots und andere Bausteine für Konnektivität.
     
  • Bei intelligenten Transportsystemen im öffentlichen Nahverkehr geht es um mehr als um Reiseinformationen in Echtzeit und das Ticket bequem über die App zu kaufen. Zukünftig werden sich Prozesse mit Hilfe von Sensoren und künstlicher Intelligenz nach Bedarf komplett automatisieren lassen: Aufeinander abgestimmte multimodale Reiserouten steigern den Komfort, die Effizienz und verkürzen die Reisezeit - ganz egal ob man alleine unterwegs ist und von A nach B kommen muss, oder ob es darum geht, riesige Besucherströme bei Massenveranstaltungen wie dem Oktoberfest oder nach einem Fußballspiel an ihre individuellen Zielpunkte zu leiten, ohne dass sie sich auf den Füßen stehen oder lange auf eine freie Bahn warten müssen.

Durch solche Lösungen lassen sich nicht nur Prozesse schlanker gestalten und Kosten einsparen. Vorausgesetzt, sie sind auch aus Kundensicht zu Ende gedacht, werden sie städtische Herausforderungen wie Staus, Lärmentwicklung, Luftqualität und Sicherheit positiv beeinflussen, die Lebensqualität aller Bewohner steigern und einen Beitrag zum Umweltschutz leisten.

Organisationsübergreifende Vernetzung als Lösung für intelligente Städte

Weil es zukünftig noch viel komplexer werden wird, wenn - wie prognostiziert - in 30 Jahren rund zwei Drittel der Menschheit in der Stadt der Zukunft leben, geht es bei der voranschreitenden Urbanisierung darum, über den Mehrwert für Technologie- und Infrastrukturdienstleister hinaus neue Qualitäten für die urbanen Gemeinschaften und Systeme zu schaffen. Das bedeutet vor allem Lösungen für Themen wie Terror, Klima, Mobilitätsverhalten, demografischer Wandel und Gewalt zu finden. Innovation, Kreativität und Co-Creation sind der Schlüssel dazu, diese urbanen Herausforderungen zu lösen. Co-Creation ist ein offener Innovationsprozess, bei dem Unternehmen und ihre Kunden interdisziplinär mit Designern, Ingenieuren und anderen Problemlösern zusammenarbeiten, um Wertschöpfung für Unternehmen und zugleich Mehrwerte für Menschen zu generieren. Unterm Strich entsteht so ein Wohlfahrtsgewinn.

Organisationsübergreifende Vernetzung in Form von Co-Creation funktioniert auch in der Stadt, denn Städte definieren sich über ihre Bewohner - dazu gehören Bürger, ortsansässige Unternehmen und die Verwaltung - und sind seit jeher Orte der Teilhabe, wo sich Menschen einbringen können und Politik gemacht wird. Das bedeutet jedoch auch, dass Stadtbewohner nicht nur als gleichberechtigte Planungspartner von Politik und Unternehmen berücksichtigt werden und Menschen im Mittelpunkt der Entwicklungen stehen, sondern die Bürger selbst müssen sich ihrer Aufgabe für ihre Stadt bewusst werden. Nur, wenn sie auch sagen, was sie wollen, und sich an Lösungen beteiligen, wird es Innovationen geben, die für Zufriedenheit auf allen Seiten sorgen und eine Steigerung der Lebensqualität mit sich bringen.

Smart Citys – ein Appell an die Bürger

Digitalisierung kann die Entwicklung von Städten zu mehr Lebensqualität entscheidend voranzubringen - vorausgesetzt die Menschen in der Stadt bringen sich mit ein. Drei Beispiele, die das heute schon zeigen:

  • Es gibt digitale Plattformen, auf denen sich Bürger in ihren eigenen und den angrenzenden Stadtvierteln vernetzen, Gedanken austauschen und ihre Interessen vertreten können. Der Vorteil: das bisweilen anonyme Stadtleben wird wieder greifbarer, indem der Bezug zu einer überschaubaren, konkreten Offline-Nachbarschaft bestehen bleibt und nicht bei einer reindigitalen Vernetzung verloren geht. Zugegebenermaßen, die meistgenutzte Funktion ist dort vermutlich noch der Marktplatz, um sperrige Gartenstühle auf dem kurzen Weg loszuwerden oder spontan einen Babysitter zu finden, aber es besteht auf jeden Fall Potenzial für mehr und auch beim Handel kommen Menschen in den Austausch.
     
  • Ein weiterer Lösungsansatz: Unternehmen veranstalten regelmäßig Hackathons und StartupWeekends mit Fokus auf die Stadt von morgen. Dabei bringen sie Programmierer, Designer, Marketeers und Unternehmer aus den verschiedensten Disziplinen zusammen, um innerhalb von einer begrenzten Zeit Prototypen und Ideen zu entwickeln. Von Stadtverwaltungen werden solche partizipativen Formate mit technologischer Grundkomponente bislang kaum organisiert, was aber wichtig wäre. Denn durch Open Innovation und intelligente Co-Creation zwischen Unternehmen, Verwaltungen und Bürgern - also mit einer Vielfalt von Teilnehmern mit unterschiedlichen Hintergründen, Absichten und Rollen - entstehen oft die nachhaltigsten und durchdachtesten Ideen, vielleicht auch ein kluger Parkplatz.
     
  • Dann ist da noch Jun, eine Stadt in Spanien mit 3500 Einwohnern, von denen mehr als die Hälfte sehr aktiv auf Twitter ist. Der das Social Media Werkzeug ist dort erste Wahl, um mit lokalen Behörden zu kommunizieren. Der wöchentliche Kantinenplan der Schule wird genauso über Twitter verbreitet, wie Verkehrsinformationen, die für alle relevant sind. Man kann Arzttermine vereinbaren und die lokalen Abfallunternehmen auf Straßenverschmutzung hinweisen. Durch die direkte Interaktion, konnte nicht nur der Stadthaushalt gekürzt und die Prozesse effizienter gestaltet werden, sondern es entstand auch eine Form “digitaler Demokratie”. Hierzulande läuft die Interaktion mit öffentlichen Einrichtungen weniger wie Twitter, sondern eher wie Snapchat: Man sendet eine Nachricht und sie verschwindet. Ob sich die Erfahrungen aus der spanischen Stadt allerdings auf größere Metropolen übertragen ließe, ist noch unklar.

Bei der digitalen Transformation von Städten gibt es nicht die eine richtige Lösung und es geht nicht darum, dass analoge Abläufe in der Stadt eins zu eins digital gemacht werden, sondern dass sich dabei auch diese Prozesse selbst verändern. Städte sind extrem komplexe Systeme und bestehen aus einer so großen Anzahl von Schichten, Nutzerszenarien und Strukturen, dass es schwierig ist, alle zu erfassen und zu verstehen. Städte wollen relevant und lebenswert werden bzw. bleiben und den neuen Qualitätsansprüchen für die Akteure ihrer Stadt genügen. Dafür müssen die einzelnen Abläufe der Stadtgemeinschaft ganzheitlich aus der jeweiligen Nutzersicht und mit digitalem Verständnis betrachtet in die Zukunft übersetzt werden. Bewohner müssen Impulse setzen, indem sie aktiv mitgestalten, sich engagieren und Dinge ändern wollen.

So lassen sich Städte nicht nur digital transformieren, sondern auch wirklich nachhaltig smart - und damit vielfältiger und lebendiger - machen. Denn Digitalisierung soll kein Selbstzweck sein, sondern dem Wohl der Menschen dienen.